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Marktergreifung: Zerstörung jüdischer Gewerbe in Zittau ab 1933
Anlässlich des Jahrestages der sogenanten Reichspogromnacht am 9. November, an dem den Novemberpogromen im Jahr 1938 gedacht wird, bietet die Netzwerkstatt der Hillerschen Villa in diesem Jahr eine Führung zur nationalsozialistischen Stadtgeschichte an. 90 Jahre nach der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten widmen wir uns der historischen Zäsur 1933 und insbesondere den Auswirkungen der politischen Ereignisse auf jüdisches Gewerbe in der Stadt Zittau.
Ablauf am 9. November 2023:
18:00 Uhr
Ökumenische Andacht in der Marienkirche Zittau
18:30 Uhr
Gedenken an der Gedenktafel Lessingstraße 12 mit Kranzniederlegung und Ansprache - Musikalisch umrahmt vom Zittauer Possaunenchor
anschließend
Stadtführung - Zerstörung jüdischer Gewerbe ab 1993
Zum Hintergrund:
2023 jährt sich das Jahr der Machtübertragung an Adolf Hitler und damit den praktischen Beginn der Herrschaft der Nationalsozialist:innen zum 90. Mal. Die nationalsozialistische Eroberung der Macht wurde innerhalb kürzester Zeit auch in kleinen Städten und sogar Dörfern durchgesetzt: Menschen, die dieser Eroberung im Weg standen, wurden entlassen, terrorisiert, inhaftiert, enteignet, entrechtet oder umgebracht. Auch in Zittau wurde die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler von vielen Menschen begeistert gefeiert. Bei den letzten Wahlen zum Reichstag am 5. März 1933 erhielt die Regierungskoalition unter Hitler in Zittau 57,7 Prozent der Stimmen bei einer ausnehmend hohen Wahlbeteiligung von fast 90%. In den Wochen zuvor hatte sie begonnen, Abweichler:innen und Gegner:innen zu verfolgen. Die Nationalsozialist:innen schufen ein Klima der Angst.
Unter den Verfolgten sind von Anfang an auch Inhaber einiger Einzelhandelsgeschäfte, die jüdischer Herkunft waren. Am 10. März werden neben anderen jüdischen, wie nicht-jüdischen Personen auch die Kaufleute Adolf Lachmann und Walter Lachmann, Inhaber der Fa. Fließ & Co. in der Bautzner Straße, Philipp Hann mit seinen zwei Söhnen sowie Elias Cohn verhaftet. Zwar werden sie am nächsten Tage wieder entlassen, doch diese sogenannte Schutzhaft ist als unverhohlene Drohung gegen Andersdenkende zu verstehen, mit willkürlichen Repressionen zu reagieren, ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche Prinzipien.
Am 28. März beschlossen die Räte außerdem eine vorsorgliche Schließung aller jüdischen Geschäfte, die polizeilich durchgesetzt wurde. Als am 29. März der Reichsweite Boykott der jüdischen Geschäfte für den 1. April angekündigt wurde, werden auch die Ehape-Filiale (Bautzner Str.) und die Kaufhäuser Fließ & Co. (Bautzner Str.) und Wolf Söhne (Reichenberger Straße) „aus Gründen der öffentlichen Sicherheit" geschlossen. Am 30. März folgte die Schließung aller anderen jüdischen Geschäfte in Zittau: „Foerder, Cohn, Frigo (Michaelis), Hann, Kafka & Schöning, Deutsches Schuhwarenhaus (Geßler), John Isaak Dunek, Sann, Gebrüder Rosenzweig, Keil, Seiler, Hugo Schlesinger, H. Rosenbaum, Schneiderei Jakob Ehrlich, Rauch."
Parallel zu den Aktionen gegen die Geschäfte und ihre Inhaber, setzte der Stadtrat (Gewerbeamt/Marktverwaltung) am 29. März ein Schreiben auf, das kundgab, dass „[i]m Hinblick auf die politische Lage […] hiermit allen jüdischen Marktlieferanten dringend ab[geraten wird], den hiesigen Jahrmarkt zu besuchen, da eine Garantie dafür nicht übernommen werden kann, daß ein Verkauf stattfinden kann." Die jüdischen Marktbeschicker spürten diese Unverbindlichkeit und Unsicherheit deutlich. In der Sitzung vom 4. Juli 1933 beschließt der Stadtrat, dass eine „Zuschrift an jüdische Händler" unter dem Betreff „Anraten, künftig die Zittauer Jahrmärkte zu meiden" erfolgen soll. Am 6. Juli wird den jüdischen Händlern, die bisher den Jahrmarkt besuchten, mitgeteilt, dass sie nicht mehr zum Jahrmarkt zugelassen werden, wie es wiederum zwei Tage später in der Zittauer Morgenzeitung berichtet wurde.
Doch von offizieller Stelle, dem sächsischen Ministerium des Inneren, wird in der Frage der Zulassung „ausländischer jüdischer Händler" zu Mäßigung aufgerufen. Weshalb diese zunächst weiter den Markt in Zittau besuchen können, dort aber immer öfter Probleme durch Beeinträchtigung ihrer Geschäfte oder Denunziation durch andere Marktbeschicker erfahren, wie weitere Briefwechsel mit dem zuständigen Amt der Stadt Zittau zeigen. Die Mühen sind in den meisten Fällen aber vergebens und am Ende des Jahres sind von ca. 60 Händlern jüdischer Herkunft nur noch ein Dutzend übrig.