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Dokumentation: Redebeitrag zum Protest gegen die Mahnwache am 2. Februar 2023
Anlässlich des Jahrestages der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht bei Stalingrad vor achtzig Jahren rief der Zittauer Ableger von PEGIDA am 2. Februar 2023 zu einer Mahnwache vor dem Gerhart-Hauptmann-Theater auf. Der Anmelder der Mahnwache Thomas Walde bewarb seine Veranstaltung unter anderem am Montag, den 30. Januar 2023 im Programm der Kundgebung des Bürgerbündnisses Grüner Ring auf dem Zittauer Marktplatz. Walde meint(e), mit der Erinnerung an die Katastrophe von Stalingrad gegen die militärische Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Invasion Einspruch erheben und der Deutsch-Russischen Freundschaft das Wort reden zu können. An der Mahnwache beteiligten sich ca. 40 Personen, darunter neben Waldes "Freunden von Pegida Zittau" auch Anhänger der Freien Sachsen und der sogenannten Alternative für Deutschland.
Wir dokumentieren im Folgenden einen längeren Auszug aus einem Redebeitrag, der bei dem Protest gegen die in ihrer Intention geschichtsvergessene, -revisionistische und realitätsferne Veranstaltung gehalten wurde:
"Eine Mahnwache zur Erinnerung an die Niederlage der Deutschen Wehrmacht in Stalingrad abzuhalten, ist an sich lediglich ein moralisch diskutables Vorhaben. Was uns hier heute aber zugemutet wird, ist in seiner Intention und praktischen Umsetzung gleich auf mehreren Ebenen eine groteske Darbietung. Die ganze Veranstaltung gleicht einer geschichtsrevisionistischen Pirouette, dass einem schwindlig wird, wenn man nur hinübersieht.
Erstens entkleiden sie das Gedenken an eine zentrale Schlacht im Zweiten Weltkrieg der Erinnerung an jenes ideologische Programm, das das Deutsche Reich mit diesem Krieg verfolgte. Stalingrad wird so zu einer simplen Kriegshandlung verfremdet.
Zweitens lässt sich die historische Abwehr des deutschen Vernichtungskrieges in Osteuropa durch die Sowjetunion und die sie unterstützenden Amerikaner nicht als Begründungszusammenhang für Zurückhaltung in Bezug Russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine heute heranziehen.
Drittens entlarvt die Wahl des Ortes für ein Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkrieges vor dem Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau, dessen Gebäude 1936 von den Nationalsozialisten als Grenzlandtheater eröffnet wurde, den vermeintlichen Bruch eines Thomas Walde und seiner Anhänger:innen mit der politischen Tradition des nationalsozialistischen Deutschlands als das Anknüpfen an selbige.
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Es reicht nicht daran zu erinnern, dass der Zweite Weltkrieg vom Deutschen Reich begonnen wurde und die Niederlage uns heute eine Lehre sein sollte. Das ist die Heuchelei einer heutigen Rechten, die ihren aggressiven Nationalismus als friedliebenden Patriotismus tarnt. Der Überfall auf die Sowjetunion war keine rein militärische Operation und die deutschen Opfer waren ein Preis, den das nationalsozialistische Regime und die Heeresführung zu zahlen bereit waren. Ihnen zu gedenken, hieße sich ernsthafte mit dem Nationalsozialismus und dem von ihm verursachten Krieg auseinanderzusetzen. Davon können wir bei Walde und seinesgleichen nichts erkennen.
Im Rahmen einer Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkriegs muss daran erinnert werden, dass dieser Weltkrieg das Europa des 19. Jahrhunderts zerstörte. Dass dieser Weltkrieg jede Vernunft und Rationalität negierte und das geistige Erbe der Aufklärung zu zerstören suchte. Wer an die Opfer des Zweiten Weltkrieges erinnern will, muss zuallererst daran erinnern, dass dieser Krieg Osteuropa in ein Totenhaus verwandelt hat.
Der Überfall auf Polen, der Überfall auf die Sowjetunion und der ganze Krieg im Osten bildete den ideologischen Kern des deutschen Krieges. In Mittel- und Osteuropa sollte ein großdeutsches Reich, ein Imperium samt Kolonien errichtet werden. Der geopolitischen Strategie lag eine Mixtur aus Lebensraum- und Herrenmenschenphantasien, Eugenik Bevölkerungsplanung, Zerstörung, Terror sowie gnadenloser Vernichtung von Menschen zu Grunde.
Seit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 setzten die Deutschen auf Terror, Zerstörung und Vernichtung. Bereits in den ersten Kriegstagen wurden zehntausende Juden hingerichtet, die polnische Intelligenz verhaftet, gefoltert, deportiert und ermordet, ganze Städte und Dörfer dem Erdboden gleichgemacht. Diese Art der Kriegsführung, die auch den Überfall auf die Sowjetunion nach dem 22. Juni 1941 kennzeichnete, war bis dato ungekannt.
Die Ideologie des Lebensraums überformte die militärischen Überfälle zu einem rassistischen Vernichtungskrieg. Die Deutschen unterschieden in den besetzten Ländern zwischen Bevölkerungsgruppen, die sie als Kollaborateur:innen rekrutierten und anderen, vor allem Pol:innen und Sowjets, die sie unterwarfen, deportierten oder gleich ermordeten, deren Kultur sie zu zerstören suchten. Die polnische und die in antisemitischer Weise als „judeo-bolschewistisch" verunglimpften Menschen sollten ermordet werden. Ein verschwindend geringer eigens von den Deutschen dafür auszuwählender Rest war dafür vorgesehen, in der Sprache der Nationalsozialisten „eingedeutscht" zu werden.
Was ich hier aufgezählt habe, ist keine nachträgliche Zusammenfassung der Kriegs- und Vernichtungshandlungen. Es war ein Plan, den die Nationalsozialisten akribisch ausgearbeitet und der durch Wehrmacht und SS mit größter Sorgfalt und unter größten Anstrengungen durchgeführt wurde. Wer den Krieg, den die Deutschen im Osten führten, verstehen will, muss sich mit dem „Generalplan Ost" beschäftigen.
Der „Generalplan Ost" wurde ab 1940 im Reichsicherheitshauptamt sowie im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete unter einem der wichtigsten nationalsozialistischen Ideologen Alfred Rosenberg gefasst. Die eroberten und dem Deutschen Reich einverleibten Gebiete sollten von Polen, Juden, Sinti und Roma und anderen Herkunfts- bzw. Zugehörigkeitsgruppen, die als „minderwertig" kategorisiert wurden, im zynischen Jargon der Nazis „befreit" werden. Die Nationalsozialisten unterschieden hierbei nochmals zwischen einer kulturellen, politischen und militärischen Elite, die sie vollständig vernichten, und einer allgemeinen Bevölkerung, die sie zu 97 Prozent zu ermorden oder zu deportieren trachteten. Anschließend sollten die Gebiete durch sogenannte „Volksdeutsche" bevölkert werden. Für die Juden hatten sie mit der „Endlösung der Judenfrage" eine vollständige Vernichtung beschlossen.
Der „Generalplan Ost" war in seiner politisch-strategischen Anlage in gewissen Aspekten sogar pragmatisch eingeschränkt worden. Es heißt dort, dass auch wenn die „Ausrottung" der Bevölkerung Polens und der Sowjetunion sinnvoll sei, komme diese „aus politischen und wirtschaftlichen Gründen" – keineswegs jedoch wegen moralischer Bedenken – zunächst nicht „in Betracht". Was das hieß, lässt sich an den Plänen für den baltischen Raum erkennen. Es heißt dort im Wortlaut: »Es sei zu erwägen, ob nicht durch die Industrialisierung des baltischen Raumes zweckmäßigerweise die rassisch unerwünschten Teile der Bevölkerung verschrottet werden könnten.« Und weiter: »An einer völligen biologischen Vernichtung des Russentums können wir jedenfalls solange kein Interesse haben, als wir nicht selbst in der Lage sind, mit unseren Menschen den Raum zu füllen.«
Der „Generalplan Ost" scheiterte wesentlich an der Niederlage der Deutschen Wehrmacht in Stalingrad. Begleitet wurde diese von der Niederlage der deutschen Verbände unter Erwin Rommel in Nordafrika sowie vom Scheitern der deutschen Ambitionen im Kursker Bogen. Als kurz darauf die ersten amerikanischen Truppen auf Sizilien landeten, begann der Rückzug der Deutschen Wehrmacht an allen Fronten.
Die Niederlage in Stalingrad und all die anderen Wendepunkte im Kriegsverlauf, waren allerdings keine Endpunkte des deutschen Vernichtungskrieges. Die Deutschen intensivierten stattdessen die Ermordung der von ihnen als „minderwertig" diffamierten Bevölkerungen. Während sie sich Meter für Meter von den vorrückenden alliierten Truppenverbänden abringen ließen, setzten sie das Massenmorden unvermindert fort. Hinter ihnen blieb nur „verbrannte Erde" zurück: 1.700 Städte, 70.000 Dörfer und der größte Teil der Infrastruktur wurden allein auf dem von ihnen zuvor eroberten Territorium der Sowjetunion annähernd vollständig zerstört. Über 3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene fielen den Nazis zum Opfer.
Die Zahlen können das Ausmaß der Zerstörung nicht beschreiben. Systematisch und nachhaltig hatten die Deutschen im Zweiten Weltkrieg das Antlitz Mittel- und Osteuropas beschädigt. Der Krieg folgte keiner Rationalität. Bis zuletzt diente er sogar gegen den eigenen Selbsterhaltungstrieb vor allem der Vernichtung.
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Wer heute Stalingrad gedenkt, muss die politische Einordnung der Sowjetunion differenziert betreiben. Die Rote Armee war zweifellos unverzichtbarer Teil der alliierten Koalition gegen Hitler. Aber sie war selbst militärischer Arm der Sowjetunion, deren Ziel nie nur die Befreiung Europas vom Faschismus war. Die Mittel, die sie in diesem Krieg einsetzte, waren die Mittel einer totalitären Diktatur, die jede Abweichung vom Kurs auszumerzen suchte. Dies zeigen exemplarisch zwei Befehle Stalins, die offenbaren, dass in der Abwehr der deutschen Bedrohung auch ein Krieg gegen das eigene Volk geführt wurde.
Nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Sommer 1941 erließ Stalin den Befehl 270. Für Sowjetsoldat:innen, die in gegnerische Kriegsgefangenschaft geraten waren, verhieß dieser den Status eines/r Verräters/in und Volksfeindes/in. Daraus resultierten auch Repressalien für die Angehörigen der inkriminierten Soldat:innen. Und in dem Monat, da die Schlacht um Stalingrad begann, erließ Stalin den Befehl 227. In der Folge wurden Spezialeinheiten gebildet, die auf sogenannte „unstabile Divisionen", auf als Panikmacher:innen und Feiglinge diffamierte schießen mussten. Wenn man den Beitrag der Roten Armee zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus gedenkt, und das muss man tun, so sollte man auch darüber sprechen, unter welchen Zwangsmaßnahmen dieser Erfolg erreicht wurde. Andernfalls verhöhnt man die menschenunwürdige Situation all derer, die sich im Prinzip nur noch aussuchen konnten, von wem sie erschossen würden.
Diese Differenziertheit ist ein Gradmesser dafür, ob wir aus der Geschichte lernen, oder nicht. Eine Würdigung des Beitrags der Roten Armee kann nicht ohne Benennung ihrer Verbrechen gelingen. Das gilt auch Abseits der heute Abend im Zentrum der Diskussion stehenden Schlacht. 1939 konnte das Deutsche Reich den Zweiten Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen beginnen, weil es dies im Bund mit der Sowjetunion tat. Gemeinsam teilten diese sich Polen untereinander auf. Die Sowjetunion ermordete in Katyn und vier weiteren Orten auf ihrem eigenen Territorium ca. 22.000 bis 25.000 polnische Militärs, Polizeioffiziere und Intellektuelle. Hierbei handelt es sich um Massenmorde, die ähnlich der deutschen Verbrechen nicht im Rahmen der symmetrischen Kriegsführung verstanden werden können.
Es ist diese politische und militärische Tradition, an die Russland heute in der Ukraine anknüpft. Putin ist nicht Hitler, denn der Holocaust ist ein singuläres Verbrechen, dass auch in den Gulags nicht seinesgleichen findet. Putin ist auch nicht Stalin, denn Putin hängt einem Revisionismus an, den die Sowjetunion gar nicht kennen konnte. Sie suchte gegen die Aggressionen der Deutschen ihren Besitzstand zu verteidigen und dehnte ihn anschließend aus. Putins militärische Ambitionen sind ein aggressives Streben nach der Ausdehnung eines großrussischen Reiches in den Grenzen der ehemaligen Sowjetunion.
Putins Krieg ähnelt aber einem historischen Moment, der uns hier in Zittau besonders interessieren sollte. Schon beim Krieg in Georgien 2008 aber vor allem im Krieg gegen die Ukraine, der bereits seit 2014 läuft, sind erschreckende Ähnlichkeiten zur Zerschlagung der Tschechoslowakei in den Jahren 1938/39 zu erkennen. Der Einmarsch in die Ukraine im Februar des vergangenen Jahres trägt ganz eindeutig die Züge eines Vernichtungskrieges. Die zum Teil zögerliche Reaktion dritter Staaten, sich in diesem heutigen Krieg für die Verteidigung der Ukraine einzusetzen, rufen Erinnerungen an die Appeasementpolitik wach, mit der den militärischen Ambitionen des Deutschen Reichs in den 1930er Jahren begegnet wurden. Das lässt sich auch nicht mit einer Erinnerung an Stalingrad konterkarieren.
Mit der Erinnerung an das militärische Desaster vom Winter 1942/43 soll auf der Mahnwache vor dem GHT heute Abend nicht nur den Opfern des Krieges auf beiden Seiten gedacht werden. Vielmehr werden in nationalchauvinistischer Manier die eine Million Toten auf der Seite der Achsenmächte zum Argument gegen die Solidarität mit der Ukraine verdreht. Interpretiert man den Aufruf wohlwollend, werden 1,13 Millionen Tote auf Seiten der Alliierten zu einer moralischen Verantwortung der Deutschen, nie wieder Krieg in Osteuropa zu führen. In jedem Fall lässt sich aber festhalten, dass dieses „nie wieder Krieg" ein selbstsüchtiges, ein selbstherrliches, geschichtsvergessenes und realitätsfernes Programm ist, das selbst einem deutschen Nationalchauvinismus und einem Geschichtsrevisionismus entspringt.
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Ich möchte noch ein paar Worte zur Wahl des Vorplatzes des Gerhart-Hauptmann-Theaters als Ort für diese Mahnwache verlieren. Am Montag dieser Woche jährte sich die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichslanzler zum 90. Mal. Damals, im Jahre 1933 wurde dieses Ereignis in Zittau am 1. Februar mit einem Fackelumzug gefeiert. Heute nun stehen Neo-Nazis und völkische Rechte in Zittau und spielen wieder mit dem Feuer.
Sie stehen dabei nicht zufällig vor dem Gerhart Hauptmann Theater. Der Bau, in dem sich das Zittauer Theater heute befindet, wurde in der Frühzeit des Nationalsozialismus wiederaufgebaut, nachdem das alte Theater 1932 einem Brand zum Opfer gefallen war. Als eines von drei Theatern, das in der Zeit des Nationalsozialismus im gesamten Reich neu eröffnet wurde, trägt es in der Architektur die Kennzeichen einer nationalsozialistischen Ästhetik. Es mag daher kein Zufall sein, dass sich Thomas Walde diesen einzigen historischen Ort in Zittau, der noch nach seiner geistigen Weltanschauung aussieht, gewählt hat, um seine politischen Veranstaltungen durchzuführen. Meines Erachtens zeigen Walde und die Teilnehmer:innen der Mahnwache vor dem Gehrart-Hauptmann-Theater mit dieser Ortswahl deutlich, wes Geistes Kinder sie sind.